Teil 2: Das Ringen um die Schule im 19. Jahrhundert
Das Burghardt-Gymnasium feierte 2020 sein 175-jähriges Jubiläum: Im November 1845 wurde die Schule eröffnet. Die Meilensteine der Schulgeschichte werden in einer Artikelserie beleuchtet. Der zweite Meilenstein führt zurück in eine Zeit, in der die Schule im 19. Jahrhundert in eine Krise geriet. Er deckt den Wert der Bildung auf, die die Schüler in „dem Meere eines sie überflutenden eitlen und wirren Wissens“ zur Orientierung benötigen, wie es der Buchen Benefiziat Thommes damals ausdrückte.
Finanzierung der Bürgerschule
Das Engagement der Stadt Buchen und ihrer Bürger ermöglichte 1845 die Gründung einer Höheren Bürgerschule. Die Eröffnungsfeier am 10. November markiert die Geburt des Burghardt-Gymnasiums Buchen, der im Jubiläumsjahr 2020 gedacht wird. Die Schulgründung war fraglos ein Erfolg, und doch sollten auch die Opfer, die Stadt und Bürger zu erbringen hatten, nicht übersehen werden: Die Kosten der Schule konnten durch den jährlichen Staatsbeitrag in Höhe von 600 Gulden und die Schulgelder in Höhe von 800 Gulden nicht gedeckt werden. Die Gemeindekasse steuerte jährlich mindestens 300 Gulden bei, die Zünfte der Stadt immerhin 150 Gulden.
Die Stadt hatte für die Schulräume zu sorgen, den Schuldiener zu bezahlen und das für die Beheizung der Räume nötige Holz aus ihren Waldungen zu liefern. Im Jahr nach der Gründung wurde der Bau eines Schulhauses, des heutigen Westbaus in der Schüttstraße, beschlossen, das bereits 1848 bezogen werden konnte – Kostenpunkt immerhin 7000 Gulden. In einer historisch bewegten Zeit – Industrialisierung, die Revolution 1848/49 und wirtschaftliche Krisen bildeten den Hintergrund der Gründungsjahre – hatten die Buchener im buchstäblichen Sinne etwas „fertiggebracht“.
Der Erfolg wurde auch in der Presse goutiert: Der „Main- und Tauberbote“ würdigte die Schule gar als eine „zeitgemäße Anstalt“, die „gerade in dieser Gegend notwendig ist wegen der tiefen Stufe geistiger Bildung, auf welcher sich das Volk des Odenwaldes noch heute begründet“. Der Autor betont die „Freude über das endliche Gelingen eines Werkes, das mit teilweise großen Opfern zustande gebracht wurde“. Indes, auf den Enthusiasmus der Lobreden folgte bald schon die erste zermürbende Krise, der Stolz über die „Gründung unserer Anstalt“ wurde ausgenüchtert durch existenzielle Sorgen und Probleme. Die Schülerzahl sank in den Jahren nach der Gründung konstant, bis sie 1862/63 mit 34 Schülern ihren Tiefpunkt erreichte.
Sinkende Einnahmen
Diese Entwicklung hing wohl mit der wirtschaftlichen Krise zusammen, die sich in Buchen in dieser Zeit verschärfte, nicht zuletzt aber auch mit einer gegen die Schule gerichteten Stimmung. Benefiziat Abele, der erste Vorstand, führte aus, dass Eltern, „deren Vermögenszustände das ganz füglich gestatten, ihre Söhne nicht in unsere Anstalt schicken“. Die Eltern seien der Ansicht, „ihre Söhne bedürften eines solchen Unterrichts nicht, wie er in höheren Bürgerschulen erteilt wird“. Zugleich spielten aber „Neid und Missgunst gegen die hiesige Schule“ eine Rolle; viele „sehen ihrer recht baldigen endlichen Auflösung und ihrem Grab mit Sehnsucht entgegen“. Mit der Schülerzahl sanken auch die Einnahmen der Stadt aus dem Schulgeld. Das Innenministerium des Unterrheinkreises ersann eine Lösung: Die Schule könnte aufgelöst, die finanziellen Mittel „zur Erweiterung der Gewerbeschule oder auch der Volksschule“ verwendet werden.
„Vollkommene Durchbildung“
Oberamtmann Felleisen, der Inspektor der Schule, musste erneut den Wert der Anstalt hervorheben: „Denn kann wohl einer Gemeinde ein Kapital sicherere und reichlichere Zinsen tragen, als das, welches sie auf Erziehung und Bildung tüchtiger Bürger verwendet? Die Gemeinde ist reich und mächtig, in welcher die Bürger gut erzogen und wahrhaft gebildet sind, […] und welches bessere Erbe könnten wohl Eltern ihren Kindern hinterlassen, als eine möglichst vollkommene Durchbildung ihrer Kräfte und Anlagen?“
Die Entscheidung, wie mit der Schule zu verfahren sei, mussten letztlich die Buchener selbst treffen. Oberkirchenrat Laubis wurde im Juni 1856 nach Buchen geschickt, um die Situation vor Ort zu sondieren. Er sprach mit dem Pfarrer, dem Amtsvorstand, dem Bürgermeister und einigen Bürgern – und schließlich versammelte sich auch der Gemeinderat, der zunächst noch mit einer „Holzversteigerung“ zu tun gehabt hatte. Und auf die Probe gestellt bekannten sich die Buchener zu ihrer Schule: Sie sprachen sich für den Erhalt der Schule aus; die Kostenersparnis bei einer Auflösung stehe in keinem Verhältnis zu dem zu erwartenden Verlust an Bildung, so der Bürgermeister.
Der Wert von Bildung ist nicht evident, so viel lässt sich festhalten, sondern bedarf der gesellschaftlichen Debatte. Und auch das Bedürfnis nach Bildung entsteht nicht in einem historischen Automatismus. Wenige Jahre nach ihrer Gründung stand die Buchener Bürgerschule kurz vor ihrer Auflösung. Das argumentative Ringen in dieser Zeit führt vor Augen, dass das, was wir als notwendige „Bildung“ betrachten, letztlich kontrovers und eine Wette auf die Zukunft ist: Die Frage, wie junge Menschen bestmöglich auf die Anforderungen der Zukunft vorbereitet werden können, wurde in den 1850er-Jahren nicht abschließend beantwortet. Der Konsens bildete sich aber heraus, dass in einer politisch unruhigen Zeit der Versuch unternommen werden muss, den Schülern „einen soliden Halt zu schaffen“, wie sich der Buchener Benefiziat Thommes ausdrückte. Die Schüler bräuchten Orientierung in „dem Meere eines sie überflutenden eitlen und wirren Wissens“. Die weitere Entwicklung der Buchener Bürgerschule wurde durch diesen Konsens begründet – er gilt im Kern bis heute.
Bilder:
- Alte Volksschule, in der die höhere Bürgerschule von 1845 - 1848 untergebracht war (heute
- Neu errichtetes Schulgebäude in der Schüttstraße ab 1848 (heute Meister-Eckehart-Schule)
- Das Programm der Eröffnungsfeier 1845
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